Oper „Anna Nicole“ am Staatstheater Wiesbaden: Aufstieg und Fall einer Playmate
Sie war wohl das berühmteste Playmate der Neunziger Jahre: Anna Nicole Smith wurde früh als Model in der Boulevard-Presse, dann im Fernsehen bekannt. Sie heiratete einen greisen Milliardär und starb 2007 mit nur 39 Jahren wahrscheinlich an einer Überdosis verschiedener Medikamente. Ihr Leben war faszinierend und ihre Geschichte gleichend dem Handlungsstrang einer Seifenoper. Der britische Komponist Mark Anthony Turnage entdeckte 2011 das turbulente Leben von Anna Nicole Smith für die Opernbühne. Nach Nürnberg, Darmstadt und Dortmund bringt nun auch das Hessische Staatstheater Wiesbaden die Geschichte der Playmate auf die Bühne.
Am Anfang der Oper ist sie schon tot. Als der Chor ein Requiem anstimmt, erhebt sie sich aus ihrem Leichensack. Anna Nicole Smith, in einem glitzernden Kleid, blendend aussehend, steht vor dem Leichenwagen, welcher ebenfalls mit Glitzern überzogen ist und erzählt ihre Lebensgeschichte. Sie wendet sich an das Publikum mit den Worten: „I wanna blow you all!“. Erst nach einer kurzen Pause fügt sie „A kiss“ hinzu. Spätestens jetzt starrt das Publikum ununterbrochen auf die Bühne und wird, ohne es zu merken, zum Teil dieser Geschichte und einer amerikanischen Talk-Show zugleich.
Sex, reiche Männer und knapp bedeckte Körper
Die Theaterbühne ist wie eine Showbühne aufgebaut: Vorne stehen Sessel für den Moderator und seine Gäste. Im Hintergrund ragt eine Tribüne für die Zuschauer hervor, die Anna Nicoles Leben faszinierend verfolgen und am Schluss schmerzhaft verurteilen. Die Bühne ist mit Glitzer überzogen. Die Talk-Show-Zuschauer entsprechen vielen amerikanischen Stereotypen: Von einem Hippie, über die Schönheitsqueen bis hin zu einem Cheerleader ist hier alles vertreten. Auch an Vertreter religiöser Gemeinden hat der Regisseur Bernd Mottl gedacht: Eine Muslima und ein orthodoxe Jude finden sich ebenfalls auf der Tribüne.
Anna Nicole, meisterhaft gespielt von Sopranistin Elissa Huber, überzeugt das Publikum mit ihrem offensiven Charme. Im ersten Teil geht es um ihre Kindheit ohne Vater, ihre erste unglückliche Ehe, aus der ihr erster Sohn Daniel hervorgegangen war, sowie um die Entscheidung, die Brüste vergrößern zu lassen. Nach der Schönheits-OP arbeitet sie in einer Pole-Dance-Bar zusammen mit vielen anderen großbusigen Frauen. „Das Gesetz lautet: Das Höschen bleibt an!“ rufen die Damen zu ihren zahlenden Kunden. Man sieht viel von knapp bedeckten Körpern und freizügigen Tänzen. Bei „Anna Nicole“ geht es um Sex, Geld, reiche Männer und immer größere weibliche Brüste. Die Sprache der Oper ist derb. Genau so derb wird der englische Text ins Deutsche übersetzt. Das ist wahrscheinlich der Grund, weswegen einige Zuschauer nach der Pause gehen. Zu stark wird das Publikum hier mit dem realen Leben und seinen unschönen Seiten konfrontiert.
In der Pole-Dance-Bar lernt Anna Nicole den greisen Ölmagnaten J. Howard Marshall II kennen, der sie letztendlich heiratet. Es folgt ein Leben voller teurer Geschenke, bis der Ehemann verstirbt, ohne ihr ein Testament hinterlassen zu haben. Anna Nicole muss sich deswegen jahrelang mit der Familie des verstorbenen Mannes um den Nachlass streiten.
Spätestens jetzt gerät sie in den Fokus der medialen Aufmerksamkeit. Die ungebildete Anna Nicole fühlt sich wie eine Diva im Rampenlicht. Sie sitzt gerne in Talk-Shows und erzählt von ihrem Leben. Ihr Anwalt, mit dem sie zusammenkommt, schlägt daraus Profit. Als sie ihr zweites Kind auf die Welt bringt, filmt er die Geburt und lässt sie im Pay-TV übertragen.
Von einer Diva zu einem Clown
Es ist aber nicht alles Gold, was glänzt. So wird Anna Nicole sehr bald die Kehrseite der Medaille erkennen. Nach ihrer Brustvergrößerung hat sie starke Rückenschmerzen und muss täglich Medikamente nehmen, bis sie mit 39 Jahren an einer Überdosis stirbt. Kurz davor stirbt ihr Sohn Daniel nach einer versehentlichen Überdosis. Das glänzende Leben erreicht somit sein unschönes Ende.
Die Hauptdarstellerin Elissa Huber vollzieht auf der Bühne eine komplette Verwandlung von einer am Anfang der Oper lebenslustigen Anna Nicole bis hin zu einem Clown, der mit einem verschmierten Gesicht emotionslos den Kinderwagen mit dem zweiten Kind vor sich herschiebt. Sie trägt einen plüschigen Strampelanzug mit drei großen Bommeln. Wenn sie dann ihren einst witzigen Satz „I wonna blow you all a kiss“ ausspricht, klingt er nicht mehr witzig. Anna Nicole Smith, an ihrem eigenen Glamour-Glitzer-Leben gescheitert, legt sich wieder auf den Glitzer-Leichenwagen und wird von der Bühne weggefahren.
Musikalische Leitung Albert Horne Inszenierung Bernd Mottl Bühne, Kostüme Friedrich Eggert Chor Albert Horne Choreografie Myriam Lifka Licht Klaus Krauspenhaar Dramaturgie Daniel C. Schindler Theaterpädagogik Luisa Schumacher
Anna Nicole Elissa Huber Stern Christopher Bolduc Virgie Margarete Joswig J. Howard Marshall Uwe Eikötter Shelley / Marshall Family Lena Haselmann Mayor of Mexia / Larry King Christopher Diffey Trucker / Doctor / Marshall Family Ralf Rachbauer Deputy Mayor / Patron / Runner Frederic Mörth Daddy Hogan / Marshall Family Daniel Carison Kay / Marshall Family Annette Luig Melissa / News Reporter Fleuranne Brockway Billy / News Reporter Nathaniel Webster Lap Dancer 1 Radoslava Vorgic Lap Dancer 2 Karolina Liçi Lap Dancer 3 Maike Menningen Lap Dancer 4 Jessica Poppe Teenage Daniel David Krahl
TänzerInnen Sofia Romano, Anna Heldmaier, Sarah Steinemer, Jasper Hanebuth, Soeren Niewelt, Max Menendez-Vazquez, Nathalie Gehrmann (Swing)
Chor des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden
Hessisches Staatsorchester Wiesbaden
Bilder: Karl und Monika Forster