Rezension: Pinocchio im Hessischen Staatstheater Wiesbaden – Ein farbenfrohes Familienstück mit Tiefgang

Das Hessische Staatstheater Wiesbaden bringt mit „Pinocchio“ eine erfrischend moderne und fantasievolle Version des Klassikers auf die Bühne, die gleichermaßen Kinder und Erwachsene anspricht. Unter der Regie von Emel Aydoğdu wird Carlo Collodis bekannte Geschichte des hölzernen Jungen, der zum Leben erwacht und das Menschsein lernen möchte, neu interpretiert.

Ein neues Narrativ mit Fokus auf das Erwachsenwerden
Die Inszenierung verzichtet bewusst auf einige traditionelle Elemente der Vorlage, wie etwa das starke Motiv der wachsenden Nase bei Lügen. Stattdessen wird der Fokus auf Pinocchios innere Reise und die Herausforderungen des Erwachsenwerdens gelegt. Besonders auffällig ist dabei die Entscheidung, aus der klassischen blauen Fee einen männlichen Charakter zu machen. Sherwin Douki spielt die Rolle überzeugend und verleiht dem Stück eine moderne Note, die sich nahtlos in das Gesamtbild einfügt.

Verzicht auf Weihnachtsklischees

Bemerkenswert ist der bewusste Verzicht auf traditionelle Weihnachtslieder, die sonst häufig in Familienstücken dieser Art zu hören sind. Stattdessen bleibt die Inszenierung ihrem eigenen Erzählton treu, der sich auf die universellen Themen von Verantwortung, Entscheidungen und das Streben nach Zugehörigkeit konzentriert. Diese Entscheidung ist sicherlich gut gemeint, jedoch sorgte sie in der Öffentlichkeit und auch unter einigen Zuschauern für Enttäuschung, da das Stück traditionell immer als Weihnachtsmärchen und Klassiker der Saison galt. Die Erwartung, ein nostalgisches, weihnachtlich geprägtes Erlebnis zu genießen, wurde dieses Jahr nicht erfüllt, was zu teils enttäuschten Reaktionen führte. Viele Zuschauer äußerten sich online kritisch zu dieser Neuinterpretation und dem Fehlen des festlichen Charmes, der die Aufführung in den vergangenen Jahren prägte.

Ein überzeichnetes Bühnenbild und auffällige Kostüme
Während das Bühnenbild von Eva Lochner eine farbenfrohe und einladende Atmosphäre schafft, sind die Kostüme von Louise-Fee Nitschke bewusst überzeichnet gestaltet. Besonders die großen, grellen Perücken erinnern stark an die Commedia dell’arte und verleihen den Figuren einen grotesken und verspielten Charakter. Diese stilistische Entscheidung mag nicht jeden Geschmack treffen, passt jedoch gut zur überspitzt erzählten Geschichte.

Eine Entscheidung für die ganze Familie


Die Umbenennung von „Weihnachtsmärchen“ in „Familienstück“ sorgte für Diskussionen, doch sie erscheint passend. Mit dieser Wahl hebt das Theater hervor, dass die Themen von „Pinocchio“ – Verantwortung, Entscheidungen und das Streben nach Zugehörigkeit – universell und zeitlos sind. Gerade für Kinder ab sechs Jahren, aber auch für ihre Eltern, bietet das Stück zahlreiche Denkanstöße.

Fazit
„Pinocchio“ am Hessischen Staatstheater Wiesbaden ist ein gelungenes Familienstück, das die zeitlosen Werte des Originals bewahrt und durch moderne Akzente bereichert wird. Die Inszenierung schafft eine Balance zwischen unterhaltsamen Momenten und tiefgründigen Botschaften. Auch wenn die Kostüme und die Entscheidung, auf traditionelle Weihnachtsklischees zu verzichten, nicht jedermanns Geschmack sind, fügen sie sich in das verspielte und farbenfrohe Gesamtbild ein. Wer klassische Stoffe in neuem Gewand erleben möchte, sollte sich diese lebendige und berührende Inszenierung nicht entgehen lassen – aber wer ein klassisches, weihnachtliches Erlebnis erwartet, könnte enttäuscht werden.

Bilder: Christine Tritschler, Staatstheater Wiesbaden