„Die Freiheit einer Frau“ am Staatstheater Wiesbaden

Mit “Die Freiheit einer Frau” bringt das Staatstheater Wiesbaden in Falk Richters Inszenierung die berührende Geschichte einer Frau auf die Bühne, die sich aus sozialen Zwängen befreit. Eva Mattes brilliert in der Hauptrolle mit beeindruckender Intensität.

Der 1992 in Nordfrankreich geborene französische Autor Édouard Louis schildert in “Combats et métamorphoses d’une femme” das Leben seiner Mutter Monique, die als junge Frau schwanger wird, ihre Ausbildung abbrechen muss und anschließend jahrelang mit einem alkoholabhängigen Mann lebt. Irgendwann schafft sie es, ihn zu verlassen und verliebt sich in einen anderen Mann, der „sogar ein Parfüm benutzt“ und daher ganz anders zu sein scheint als ihr erster. Mit ihm bekommt sie drei weitere Kinder. Doch auch in dieser Beziehung erfährt sie über Jahre hinweg häusliche Gewalt, Erniedrigung und bittere Armut. Gefangen in einem aussichtslosen Alltag zwischen Hausarbeit und Abhängigkeit, fasst sie schließlich den Mut, ihren Mann hinauszuwerfen – ein radikaler Akt der Selbstbefreiung.

Eva Mattes zwischen Verzweiflung, Wut und Hoffnung

In der Inszenierung glänzt Eva Mattes – eine der bekanntesten Schauspielerinnen im deutschsprachigen Raum. Sie verkörpert die ältere Monique mit einer beeindruckenden Mischung aus Zerbrechlichkeit und innerer Stärke. Ihre Darstellung changiert dabei zwischen tiefster Verzweiflung, aufgestauter Wut und einer zaghaften Hoffnung auf ein anderes Leben. Mattes ist die ganze Zeit präsent, jedoch nicht immer im Mittelpunkt. Während der Rückblenden, in denen Sandrine Zenner die Rolle der jungen Mutter übernimmt, beobachtet Mattes das Geschehen von einem Stuhl am Bühnenrand aus. Die Inszenierung wird von der Stimme ihres Sohnes begleitet, der ihr Schicksal reflektiert und würdigt.

Édouard als erzählerische und emotionale Instanz

Édouard, der Sohn und zugleich Alter Ego des Autors, ist die zentrale erzählerische Figur des Stücks. Gespielt von Lennart Preining, fungiert er als Beobachter, Erzähler und zugleich Teil der Erinnerungen. Er blickt aus der Distanz eines inzwischen erfolgreichen Intellektuellen auf das Leben seiner Mutter zurück, doch seine Erzählweise bleibt nicht neutral – immer wieder blitzen Wut, Schuldgefühle und tiefes Mitgefühl auf. Er versucht zu verstehen, warum seine Mutter so lange in diesen Verhältnissen verharrte, und reflektiert zugleich seinen eigenen Weg aus der Enge der sozialen Herkunft. Besonders eindrücklich wird dies in den Rückblenden, wenn Preining in den Szenen aus der Vergangenheit selbst Teil des Geschehens wird.

Mischung aus Theater, Filmsequenzen und Rockkonzert

Überhaupt sind die Rückblenden ein unverkennbarer Teil dieser Inszenierung. Sie wurde 2022 von Falk Richter – einem der renommiertesten Theatermacher Europas – am Deutschen Schauspielhaus Hamburg aufgeführt und in Wiesbaden mit dem hiesigen Ensemble neu erarbeitet. Richter inszeniert regelmäßig an führenden Bühnen Europas. Seine Arbeiten zeichnen sich durch eine starke gesellschaftspolitische Relevanz und eine enge Verbindung von Text, Musik und Videokunst aus.

Auch in “Die Freiheit einer Frau” zeigt sich sein unverkennbarer Stil: eine Mischung aus dokumentarischem Theater, intensiver Emotionalität und visuellen Elementen.

So gehören drei große Bildschirme zum Bühnenbild der Inszenierung. Auf ihnen können Zuschauer Szenen verfolgen, die hinter der Bühne live gespielt werden. Darüber hinaus werden Videoprojektionen (Sébastien Dupouey) gezeigt, die der Inszenierung eine zusätzliche Erzählebene hinzufügen. Besonders gelungen sind die Montagen, in denen Eva Mattes in Filmszenen mit Catherine Deneuve auftaucht – ein humorvoller Verweis auf die Träume von Édouards Mutter, die sich einst mit dem Filmstar eine Zigarette teilte. Falk Richter inszeniert diese Momente mit spürbarer Zuneigung und ohne ironische Distanz.

Neben Eva Mattes ist eine Rockband die ganze Zeit auf der Bühne präsent. Bestehend nur aus Frauen, zeigt sie die innere Verfassung der Mutter und verleiht ihr eine zusätzliche emotionale Tiefe. Ihre rockigen Balladen verstärken die Dringlichkeit des Gesagten und geben der Inszenierung eine fast schon rebellische Note.

Ein Bühnenbild, das Wandel und Widerstand spiegelt

Das Bühnenbild von Katrin Hoffmann setzt die innere und äußere Reise der Hauptfigur mit starken Symbolen in Szene. Im Mittelpunkt steht eine monumentale Treppe, die als Sinnbild für sozialen Aufstieg dient – oder vielmehr für die Mühsal, die dieser mit sich bringt. Sie ist nicht nur ein Weg nach oben, sondern auch ein Hindernis, das es zu überwinden gilt. Die Metamorphose der Frau, ihr Kampf um ein selbstbestimmtes Leben, wird hier visuell greifbar gemacht.

Doch der Aufstieg ist nicht frei von Widerständen: Eine überdimensionierte Faust, die sich über die Szenerie erhebt, steht für die Kräfte, die die Hauptfigur zurückhalten – sei es durch häusliche Gewalt, soziale Strukturen oder die internalisierten Ängste, die sie immer wieder zweifeln lassen. Diese Faust scheint den Aufstieg zu blockieren, erinnert an die unsichtbare Macht patriarchaler Unterdrückung und bleibt als bedrohliches Symbol über der Szene bestehen.

Im Hintergrund der Bühne steht ein Triumphbogen mit der Inschrift „Métamorphose“. Dies fasst in einem Wort zusammen, was der Mutter am Ende gelingt: eine innere Verwandlung, ein Durchbrechen gesellschaftlicher Zwänge und eine Befreiung. 

Das Wiesbadener Publikum würdigte die Premiere mit Standing Ovations. Es gibt nur wenige Aufführungen, schnell sein, lohnt sich. Mehr Infos auf der Seite des Staatstheaters Wiesbaden.

Bilder: Maximilian Borchardt, Staatstheater Wiesbaden